Keek Hathaway: „Scheiße! Gottverdammt! Er hat nicht einmal einen…“
Der Champion wimmert vor Schmerz und schreit vor Wut. Er versucht sich aus meiner misslichen Lage zu retten. Schlägt abwechselnd um sich oder nutzt die Hände, um sich hochzustemmen. Nichts bringt die ersehnte Rettung.
Keek Hathaway: „…Sharpshooter im Programm! Was soll das?”
Er hat das Gefühl, dass ein Dutzend Schlangen sich gleichzeitig in seinen Beinen verbissen haben. Dass Urgewalten an den Wirbeln zerren und versuchen, seinen sterblichen Körper neu anzuordnen. Er schlägt mit der Faust auf die Ringmatte. Schreit abermals. Nicht davon hilft ihm, aus dem Sharpshooter zu entkommen.
Er ist gefangen. Er ist verdammt WÜTEND. Das hier hat er nicht gewollt.
Keek Hathaway: „FUCK!“
Er holt Luft und versucht, ruhig zu bleiben. Konzentriert in Richtung der Seile zu robben. Sie sind der Rettungsring, der ihm noch bleibt in einem wogenden Meer der Schmerzen. Jeder Zentimeter wirkt endlos lang. Immer und immer wieder klopft er mit der Faust auf die Matte, verflucht die Welt.
Grad hasst er alles. Und ganz besonderes diesen Wichser. Der ihn reingelegt hat.
Keek Hathaway: „Lass mich endlich lo…aaaaah!“
Los. Das ist, was er will. Loskommen. Aber die Schlangen an seinen Beinen sind noch da. Langsam wird alles taub. Er sieht keine Möglichkeit, diesem Sharpshooter zu entkommen. Real betrachtet mögen es zwanzig oder dreißig Zentimeter sein, die seine langgestreckten Finger vom elastischen Seil trennen. Aber die Distanz zu überwinden, fühlt sich an, wie einen Marathon zu bestreiten. Als robbendes Etwas ohne Beine.
Keek Hathaway: „Come on…“
Er versucht, sich selbst zu pushen. Denkt an das Mentaltraining, versucht die Kraftreserven im Inneren zu aktivieren. Aus der Leidenschaft ein letztes bisschen Power auszupressen. Damit er irgendwie entkommen kann.
Das Seil kommt mit Zwergenschritten näher.
Keek Hathaway: „Jaaaaaa!“
Er hat es. Nie zuvor hat es sich so schön angefühlt, irgendwas zu berühren. Also gut, den Titel vielleicht. Und Elena. Aber das hier, das ist auch die ganz große Nummer. Er merkt, wie der Druck um seine Beine gelöst wird. Weichgeklopft und kraftlos liegt er auf der Matte. Er erinnert sich wieder daran, wie schön Freiheit ist.
Dann aber ist das andere Gefühl wieder in seinem Kopf. Dass er reingelegt wurde.
Keek Hathaway: „Du Wichser!“
Er springt auf, seine halb tauben Beine geben fast nach. Aber sich jetzt bloß keine Blöße geben, nicht in den Knien einsacken. Er hat etwas zu klären – gottverdammtnochmal zu klären – und das kann er nur aus einer starken Position heraus. Also geht er auf den Wichser zu, drückt seine eigene Stirn an die des anderen. Hahnenkampf. Wer zieht zuerst zurück? Er riecht den Atem des anderen.
Und er sieht, dass der Typ lacht.
Keek Hathaway: „Was sollte das, Mann? Schwanenburg setzt nicht einmal einen Sharpshooter ein.“
Er merkt selbst, dass das weinerlich klingt. Aber jetzt hat er angefangen mit der Diskussion. Also versucht er, dem anderen in die Augen zu schauen. Aber der wendet sich lächelnd und kopfschüttelnd ab. Was für eine Respektlosigkeit, denkt Keek, und hat das Gefühl, dass er schon wieder verdammt WÜTEND wird.
Keek Hathaway: „Warum also setzt zu den Sharpshooter an, hm?“
Schulterzucken. Der Mann lacht höhnisch mit geschlossenem Mund. Greift nach einem Handtuch und wischt sich hier – im Trainingsring eines kleinen Gyms in Nordengland – Schweiß von der Stirn. Dann beginnt er, in einer Tasche nach einer Wasserflasche zu kramen. Er ignoriert Keek völlig. Der Namibier ist kurz davor, an die Decke zu gehen. Die Brust Hathaways senkt und hebt sich im schneller werdenden Takt.
Dann aber dreht sich der Mann doch zu Keek Hathaway um. Danny Rickson grinst ihn an.
Danny Rickson: „Und? Was hat das für eine Bedeutung, ob Antoine Schwanenburg einen Sharpshooter im Programm hat oder nicht? Du bist doch zu mir gekommen, weil du trainieren wolltest. Richtig? Richtig. Also trainieren wir. Und das da, was du eben gemacht hast…“
Er deutet mit spöttischer Miene auf die Ringmatte, die von Keek Hathaways Geifer und Schweiß verfärbt ist. Wo der Champion auf dem Weg zur Rettung langgerobbt war, ist eine Spur zu sehen.
Danny Rickson: „…sah nicht besonders gut aus, Keek.“
Noch immer zornig schüttelt Keek mit dem Kopf. Es fällt ihm schwer, Rickson in die Augen zu blicken. Teils weil er das Gefühl hat, dass es ihn wieder wütend macht. Teils aber auch, weil er es hasst, dem Engländer Recht geben zu müssen. Dann erwidert er doch dessen Blick. Rickson mag nicht lange fortgewesen sein, doch er sieht anders aus als beim letzten Mal, als sie sich gesehen haben. Das sind sicher drei oder vier Kilogramm weniger. Die Muskeln unter dem weißen Shirt zeichnen sich etwas kleiner, aber definierter ab. Mit weniger Masse sieht er jünger aus. Ricksons Haare sind lang geworden, reichen fast bis zum Kinn hinunter. Das helle Blond, das an die jungen Jahre Dannys erinnert – ist das gefärbt oder von der Sonne ausgeblichen?
Keek Hathaway: „Lenk nicht ab. Ja, ich bin gekommen, um zu trainieren. Und du weißt genau, warum wir trainiert haben. Weil ich gegen Antoine Schwanenburg gewinnen will. Du bist der Letzte, der ihn fair One-on-One geschlagen hat. Wenn ich unter diesen Vorzeichen zu dir nach Newcastle komme…dann erwarte ich enen, dass wir einen Kampf gegen Schwanenburg trainieren. Ein Sharpshooter aus dem Nichts kommt da eher unerwartet.“
Rickson stößt Luft zwischen den Zähnen aus und reibt sich über den Mund, der von einem dünnen, hellen Bart umrahmt wird. Verächtliches Kopfschütteln.
Danny Rickson: „Keek, ich bitte dich! Sag mir, wie lange bist du noch mal Champion?“ Keek Hathaway: „Das weißt du ganz genau. Seit September 2021. Was soll die Frage?“
Der Engländer hält seine Hände hoch und beginnt mit provozierender Langsamkeit direkt vor Keeks Augen die Monate abzuzählen.
Danny Rickson: „So verdammt lange. Und du willst mir sagen, dass du so weit gekommen bist, weil DAS HIER…“
Abermaliges Deuten auf die Ringmatte.
Danny Rickson: „…deine Trainingseinstellung ist? Schwanenburg hat keinen Sharpshooter im Programm. Okay, scheiß drauf. Wenn du einfach einen Antoine-Simulator haben willst, dann brauchst du nicht zu mir damit kommen. Dann schnapp dir einen von den Goofys im Performance Center. Geh‘ zu Eliott Diehl. Wenn du aber zu Danny Rickson kommst…“
Seine Hände vollführen eine weite Geste durch das Gym. Einige Trainingsgeräte, ein Ring. Viele Gewichte. Keine Bilder an der Wand, keine Urkunden. Ein schlichter Trainingsraum, dem jedes Pompöse abhanden geht.
Danny Rickson: „…dann trainierst du auch mit Danny Rickson. Und ICH habe einen Sharpshooter im Programm. Was machst du denn, wenn Schwanenburg plötzlich eine neue Aktion auspackt? Beschwerst du dich beim Ringrichter, dass es unfair ist und der Kampf neu starten soll.“ Keek Hathaway: „Es geht mir ums Prinzip, okay? In einem Kampf rechne ich mit allem. Hier nicht.“ Danny Rickson: „, Junge, spar dir deine Ausreden.“ Keek Hathaway: „Nenn mich nicht Junge. Ich bin der GFCW Champion. Nicht mehr dein Assistent. Das ist ein Jahrzehnt her.“
Zum wiederholten Male zuckt Rickson mit den Schultern. Dann geht er zu den Ringseilen und lehnt sich an. Schüttelt die leere Wasserflasche. Lässt sie klappern. Hathaway muss die Augen schließen und ruhig durchatmen, um nicht in WUT zu geraten. Rickson weiß genau, an welchen Ventilen er drehen muss, um den Namibier explosiv zu bekommen.
Danny Rickson: „Als mein Assistent hast du mir aber besser gefallen.“ Keek Hathaway: „ICH BIN WÜTEND!“
Er stürmt heran und wieder stehen sie Stirn an Stirn. Diesmal ist es noch intensiver. Diesmal dauert es länger. Er zieht nicht zurück. Er zwinkert nicht. Er starrt Rickson an und drückt Stirn an Stirn. Dieser verdammte Wichser.
Rickson schubst ihn mit einer Hand sanft, aber bestimmt weg.
Danny Rickson: „Lass‘ uns nicht streiten.“ Keek Hathaway: „Dann rede nicht so eine Scheiße.“ Danny Rickson: „Schon gut.“
Er setzt sich aufs mittlere Ringseil, um es nach unten zu drücken. Klare Aussage: Die Trainingsstunde ist beendet. Und es war eine Lehrstunde für Keek Hathaway. Der Namibier ist immer noch WÜTEND. Auf Rickson, vor allem aber auf sich. Er beugt sich zwischen den von Rickson gehaltenen Ringseilen hindurch nach draußen und bleibt auf dem Apron stehen. Rickson sitzt hinter ihm auf den Ropes und schaukelt hin und her. Ein verschmitztes Lächeln umspielt die Lippen des Veteranen.
Keek Hathaway: „Was ist?“ Danny Rickson: „Wie hast du es denn vorhin gemeint, das mit dem Match? Du glaubst, dass es dann anders gewesen wäre? Dass du dann aus dem Sharpshooter rausgekommen wärst? In einem Match?“
Hathaway zögert keine Sekunde. Er dreht seinen Kopf in Richtung Rickson und nickt. Der Engländer zieht eine Augenbraue hoch.
Keek Hathaway: „Ich hätte es gar nicht zum Sharpshooter kommen lassen.“ Danny Rickson: „Dann beweis‘ es doch.“
Das Stichwort für den Champion. Oh ja, ihm ist jetzt verdammt nach einem Kampf. Er zieht die Trainingsjacke aus und wirft sie auf den Gym-Boden. Geht zurück vom Apron in den Ring und wartet auf Danny.
Keek Hathaway: „Ich beweise es dir. Hier und jetzt. Lass‘ uns kämpfen.“
Hathaway winkt den Kontrahenten heran. Der bleibt stehen, wo er ist. Nicht einmal halb so viel Enthusiasmus bei Rickson wie bei seinem gegenüber. Er winkt affektiert und gelangweilt ab und dann grinst er wieder.
Danny Rickson: „Ach, Keek. Das meine ich doch nicht. Das wäre doch kein…Kampf. Hier im Gym mal eben zwischendurch. Das ist doch langweilig.“ Keek Hathaway: „Was dann?“
Statt auf die simple Frage zu antworten, rutscht Rickson von den Seilen auf den Apron und stellt sich mit beiden Beinen fest auf den Boden. Er streckt sich, lässt den Kopf kreisen. Dann geht er gezielt auf zwei Stühle zu, auf denen sie ihre Trainingstaschen abgestellt haben.
Keek Hathaway: „Was machst du da?“
Rickson greift nicht nach der eigenen Tasche, sondern nach jener, die in den Nationalfarben Namibias gehalten ist. Die mit Autogrammen von langjährigen Weggefährten und Stickern von Ligen auf der ganzen Welt verziert ist. Keek alte, abgewetzte Tasche. Er öffnet den Reißverschluss.
Und holt etwas heraus.
Keek Hathaway: „Hände weg! Hände weg von meinem Titel! Da verstehe ich keinen Spaß, Danny.“ Danny Rickson: „Das ist kein Spaß.“
Er starrt für einen Augenblick, der in Keeks Augen viel zu lange andauert, auf das Gold und legt es dann sanft in die Tasche zurück. Wieder kommt er zum Ring, slidet unter den Seilen auf die Matte und baut sich direkt vor Keek auf. Bei zehn Zentimetern Größenunterschied muss er leicht nach oben schauen, doch sie wirken ebenbürtig. Ein feierlicher Ernst liegt auf der Szenerie.
Keek Hathaway: „Du willst etwas andeuten?“ Danny Rickson: „Sagen wir es so, Keek. Du bist hergekommen, weil du Antoine Schwanenburg schlagen willst. Ich werde dir ein paar Lektionen erteilen, damit das Vorhaben realistischer wird. Ich weiß aber, wie rastlos du bist. Falls du gewinnst, ist Nach-Schwanenburg Vor-der-nächsten-Herausforderung. Du bist ein Kämpfer. Ein Fighting Champion.“
Er legt seinem Gegenüber eine Hand auf die Schulter. Keek starrt sie an, schlägt die Hand aber nicht weg. Seine Nasenflügel weiten sich.
Danny Rickson: „Jede deiner Herausforderungen muss größer werden. Player. Ricks. Jetzt Schwanenburg. Aber ich frage mich, was nach Schwanenburg kommt. Wir wissen beide, dass er einer der Besten seiner Generation ist. Das sagt jeder. Aber er kann verlieren. Das wirst du hoffentlich beweisen.“
Nun legt er auch die zweite Hand auf Keeks Schulter. Dieser weicht dem Blick des Engländers nicht aus.
Danny Rickson: „ICH habe es schon bewiesen. Ich bin der Letzte, der Antoine Brainpain Schwanenburg geschlagen hat. Fair. One-on-One. Im GFCW-Ring. Wenn du also als Fighting Champion immer eine größere Herausforderung brauchst, dann gibt es nur eine logische Entscheidung. Dich der Person zu widmen, die noch besser als Antoine Schwanenburg ist.“
Er löst die Hände von Keeks Schulter wieder. Aber nicht, ohne dem Namibier abschließend mit dem Handrücken vor die Brust zu klopfen. Rickson streicht sich die blonden Haare aus dem Gesicht und geht in Richtung der Seile. Jede seiner Bewegungen wird von Keek Hathaway mit konzentriertem Interesse verfolgt, analysiert und verarbeitet.
Keek Hathaway: „Das ist eine offizielle Herausforderung?“
Rickson bleibt stehen. Er mag fünfundvierzig Jahre alt sein, doch sein Gesicht wird von einem jungenhaft-leichten Lächeln dominiert.
Danny Rickson: „Sagen wir es so. Ich werde bei War Evening nach Stranded da sein. Schließlich habe ich noch einen aktuellen Vertrag. Solltest du gewonnen haben…“
Er rollt sich aus dem Ring.
Danny Rickson: „…werden wir uns noch einmal unterhalten.“
Man sieht einen jungen Mann im Fitness-Center. Es ist recht offensichtlich, dass der, eher schlanke, Brillenträger noch nicht sehr oft hier war. Aber trotzdem macht er sich voller Eifer an die Arbeit! Doch schon das anheben einer Langhantel wird für ihn zur großen Hürde und er läuft bei seinem vergeblichen Versuch knallrot an, bevor er aufgibt…
ES IST NICHT WICHTIG, WIEVIEL DU DRÜCKEN KANNST…
Nun versucht sich der junge Mann an den Laufbändern. Doch auch hier hat er so seine Schwierigkeiten. So kommt es wie es kommen muss und das Laufband wirft ihn von der Maschine, begleitet von einem Aufschrei des Mannes…
ES IST NICHT WICHTIG, WIE SCHNELL DU LAUFEN KANNST…
Vielleicht macht er beim Seilspringen eine gute Figur? Der Anfang sieht zumindest sehr vielversprechend aus… Bis der junge Mann übermütig wird und andere Sprungtechniken ausprobieren will. Dabei verheddert er sich sehr unglücklich im Seil und stolpert aus dem Kamerabild, woraufhin ein unangenehmes Krachen und Klirren zu hören ist…
ES IST NICHT WICHTIG, DASS DU WEISST WAS DU TUST…
Unser Freund ist vollkommen außer Atem und blickt auf seine Sportuhr, die ihm zu seinem Entsetzen anzeigt, dass er erst seit knapp 10 Minuten trainiert… was eine resignierende Mimik unseres jungen Herren erzeugt…
ES IST AUCH NICHT WICHTIG, WIE LANGE DU DURCHHALTEN KANNST…
Frustriert lässt sich unser fitnessinteressierter Freund auf einen Sessel plumpsen und holt seinen Proteinriegel hervor, von dem er genüsslich einen Bissen nimmt. Der unvergleichliche Geschmack, lässt ihn den Fitness-Frust erstmal vergessen. Freundlich klopfen ihm plötzlich wildfremde Muskelmänner anerkennend auf die Schulter und mit vor Erstaunen offenem Mund, stellt er fest, dass die Damen im Raum ihm eindeutige Blicke zuwerfen… Kein Wunder! Das ist ja schließlich auch nicht irgendein Riegel…, sondern DAS Status-Symbol unter den Fitness-Fanatikern!
DAS EINZIGE WAS ZÄHLT IST, DASS DU DABEI AM ENDE TROTZDEM EINFACH VERDAMMT GUT AUSSIEHST!
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